100 JAHRE CITROËN – DIE GESCHICHTE
Die Kreativabteilung des Automobilbaus
Komfort ist Bequemlichkeit, die auf der Präsenz von bestimmten Maschinen […] beruht.
Kein anderes Gefühl ist so eng mit Citroën verbunden wie der Komfort. Dass Komfort und Citroën zu Synonymen geworden sind, liegt wohl daran, dass die Marke quasi auf Komfort aufgebaut ist: Ab dem Jahr 1912, noch bevor sich André Citroën den Traum einer eigenen Automarke erfüllen kann, verdient er Geld mit Zahnrädern. Die von ihm patentierte Winkelverzahnung sorgt für ruhigeren, leiseren und effizienteren Lauf. Dieser Komfort begeistert die Industrie – und spielt letztlich das Startkapital für die Gründung von Citroën ein. Der Doppelwinkel im Markenlogo erinnert bis heute daran.
Dass im ersten Citroën-Logo ein blauer Doppelwinkel gelb umrandet wurde, ist ein farbenfroher Verweis auf den Familiennamen: Der Ur-Urgroßvater von André Citroën war Zitrusfruchtverkäufer in Holland und nahm den Spitznamen an, den seine Kunden ihm gegeben hatten: „Limoenman“ (wörtlich übersetzt „Limonenmann“). Daraus wurde im Laufe der Generationen „Citroen“ (Niederländisch für Zitrone). Eingefleischte Citroën-Fans kennen die Geschichte natürlich und nennen ihr Auto bis heute liebevoll „Zitrone“.
Übrigens: Die Punkte auf dem „e“ wiederum gehen direkt auf André Citroën zurück, als der Hochbegabte in das elitäre Lycée Condorcet eingeschult wurde, sollten sie die französische Aussprache seines Namens verdeutlichen.
Citroën steigt dann innerhalb weniger Jahre zum größten europäischen Autohersteller auf. Dabei erweist sich André Citroën als visionärer Techniker, der zum Beispiel die ersten verstellbaren Vordersitze und die ersten Bremsleuchten verbaut, das Holz durch Ganzstahl-Karosserien ersetzt oder Unfälle simuliert, lange bevor das Wort Crashtest erfunden wurde. Zugleich ist Citroën, der Firmengründer, auch ein geradezu revolutionärer Werber: Als der Staats knapp bei Kasse ist, finanziert er zum Beispiel 150.000 Verkehrsschilder mit Markenschriftzug. Zur Eröffnung der internationalen Kunstgewerbeausstellung 1925 lässt er den Eiffelturm mit einem Citroën-Schriftzug aus 250.000 Glühbirnen erstrahlen. Bis 1934 bleibt der noch aus 40 Kilometern Entfernung sichtbare Markenname auf dem Wahrzeichen. Sogar Pilot Charles Lindbergh orientiert sich bei seiner ersten Atlantik-Überquerung mit einem Flugzeug daran – und besucht aus Dank gleich nach dem französischen Präsidenten und dem US-Botschafter auch André Citroën. Geniale Werbemomente bleiben stets ein Merkmal von Citroën, etwa als der AX in den 80ern über die Chinesische Mauer oder der Visa GTi über einen französischen Flugzeugträger Clémenceau fährt.
„Entwerfen Sie ein Auto, das Platz für zwei Bauern in Stiefeln und einen Zentner Kartoffeln oder ein Fässchen Wein bietet, mindestens 60 km/h schnell ist und dabei nur drei Liter Benzin auf 100 Kilometer verbraucht. Außerdem soll es selbst schlechteste Wegs bewältigen können und so einfach zu bedienen sein, dass selbst eine ungeübte Fahrerin problemlos mit ihm zurechtkommt. Es muss ausgesprochen gut gefedert sein, sodass ein Korb voll mit Eiern eine Fahrt über holprige Feldwege unbeschadet übersteht. Und schließlich muss das neue Auto wesentlich billiger sein als unser ‚Traction Avant’. Auf das Aussehen des Wagens kommt es dabei überhaupt nicht an.“
Die „Ente“ startet, ganz dem heute üblichen Motor-Downsizing verpflichtet, mit einem 9 PS starken Zweizylinder-Benziner. Ihre Einfachheit wird von Kommentatoren als „fahrender Gartenstuhl mit Sonnenschirm“ beschrieben, freilich nicht ohne den herausragenden Komfort zu würdigen: „…Federungskomfort eines Sechszylinders, Robustheit eines Traktors”. Unglaubliche 41 Enten-Jahre lang reüssiert der 2CV ohne wesentliche Konstruktionsänderungen am Markt, am Ende war fünf Millionen mal verkauft worden und hatte 29 PS, eine in der Autogeschichte einmalige Verdreifachung der eigenen Motorleistung. Das serienmäßige Fetzendach war das perfekte Symbol des Freiheitsgedankens – leistbare Mobilität wirkte damals noch lebensverändernd – und der einzigartig lange Federweg zementierte das Image von Citroën als Komfortmarke in den Köpfen. Umfallen konnte die „Ente“ dank des tiefen Schwerpunkts trotzdem kaum und die eigene Langsamkeit wurde von den Fans bisweilen als Sicherheitsfeature zelebriert, weil „der 2CV noch gar nicht da ist, wenn der Unfall passiert“.
Der wohl wichtigste Tag in der Geschichte von Citroën und einer der schönsten in der Autogeschichte ist der 8. Oktober 1955: In Paris wird das Tuch von der DS gezogen. Durch ihr stromlinienförmiges Design wird sie seither beständig zu den schönsten Autos der Welt gezählt, als einzige Limousine, denn in solchen Listen tauchen gewöhnlich nur Sportwagen auf. Als zum Beispiel „Auto Bild Classic“ eine weltweite Jury aus Designern (z.B. Schreyer, Bracq), Rennfahrern (z.B. Röhrl), Classic-Chefs, Museumsleitern und Historikern nach dem schönsten Auto fragt, bilden Jaguar E-Type, Mercedes 300 SL, Lamborghini Miura, Porsche 911, Ferrari 250 GTO und Citroen DS die Spitze. Citroën bringt mit der DS – die aufgrund des sprachlichen Gleichklangs von „déesse“ mit dem Buchstabenkürzel passenderweise „Göttin“ genannt wird – über 20 Jahre lang quasi eine Skulptur auf die Straße. Das vom Italiener Flaminio Bertoni gezeichnete Auto ist ein Kunstwerk, wie es vorher und nachher kein vergleichbares gab. Entsprechend sorgsam geht Citroën mit seiner DS um. Größte optische Änderung in zwei Jahrzehnten: 1967 bekommt sie Doppelscheinwerfer.
Mit der DS bringt Citroën auch ein technisches Kunstwerk und krönt damit vorerst seine lange Geschichte origineller Erfindungen: Die von André Lefebvre konstruierte Hydropneumatik hebt den Federungskomfort auf ein völlig neues Level. Für die Franzosen ist die „Göttin“ nationales Heiligtum. Präsident Charles de Gaulle fährt nur DS und wird einmal durch sie vor einem Attentat gerettet, weil der Wagen dank der Hydropneumatik trotz eines zerschossenen Hinterreifens auf drei Rädern weiterfahren kann.
Nach dem Zusammenschluss mit dem einstigen Rivalen Peugeot konzentrierte sich Citroën unter PSA-Regie ganz besonders um seine historisch gewachsene Rolle als Raumausstatter: Durch den überaus erfolgreichen Berlingo und der langen Ära der Picasso-Vans waren die Franzosen in den 90er- und Nuller-Jahren eine der besten Adressen für viel Platz und Flexibilität. Der Einstieg in den Rennsport mit dem Xsara WRC und dem junge Sébastien Loeb führte ab 2003 zu einer beispiellosen WM-Titel-Serie.
Dass Citroën von 2014 bis 2020 mit Markenchefin Linda Jackson erstmals eine Frau an der Spitze hat, beflügelt die Charakterbildung: „ Frauen bauen nicht die besseren Autos. Es ist aber wichtig, dass Frauen bei der Entwicklung dabei sind, um bessere Autos zu bauen“, sagt Jackson mit Blick auf die männerdominierte Konkurrenz. Seit Anfang 2020 hat mit Vincent Cobée ein erfahrender PSA-Mann als Citroën-CEO übernommen, an seiner Seite Laurence Hansen als Direktorin für Produkt und Strategie.
Dabei sind es genau die Stärken von früher, die bei Citroën nun wieder den Unterscheid machen: Kreativeres Design (außen und vor allem auch Innen!), besserer Sitzkomfort, komfortablere Federung, viel Platz.
weiter – der Berlingo verbindet seinen Rekord-Laderaum mit PKW-Komfort und die neuen SUVs glänzen mit Raum und Flexibilität, die nur wenige haben. Familien und Hobbysportler freut es.
Die neuesten Modelle C3 Aircross, C4 Cactus und C5 Aircross kann man zudem mit keinen anderen Autos vergleichen, obwohl es ja nicht gerade an direkter SUV-Konkurrenz mangelt. Sie sind so anders gestylt und auch anders eingerichtet, dass man nicht mehr von stilistischen Abweichungen allein sprechen kann, das sind schon andere Denkschulen.
Speziell bei C4 Cactus und C5 Aircross bricht sich der positive Eigensinn der Marke auch (komfort-)technisch Bahn: Citroën verwendet für die Sitzpolster ein neues, selbstentwickeltes Material, dass an der Oberfläche deutlich weicher ist, tiefer drinnen aber auch guten Halt bietet. Man freut sich bei jedem Mal Hinsetzten über die Gemütlichkeit, behält den Sitzkomfort auch auf der Langstrecke trotzdem. Zweiter Komfortkniff ist eine neue Fahrwerkstechnik mit progressiven Dämpfern, für die über 20 Patente neu angemeldet wurden – der offizielle Nachfolger der Hydropneumatik mit neuem Konzept.
Im hundertsten Jahr seiner Geschichte zeigt Citroën der Konkurrenz also wieder, was Komfort ist.
Zugleich denkt die Marke mutig voraus wie unter André Citroën: Der radikale Ami One kommt als moderne Interpretation des Volksautos 2CV zur richtigen Zeit. Immer mehr Menschen in den Städten und immer strengere Abgasvorschriften bringen jene Errungenschaft heute unter Druck, an der Citroën mit 5 HP, 2CV und Co. über die Jahrzehnte maßgeblich beteiligt war – das für alle leistbare Auto. Und wie reagiert Citroën? Während überall schwere E-Autos entstehen, probt das Ami One Concept eine radikale Reduktion auf das Wesentliche, bis ein wirklich günstiges Elektroauto für die Stadt rauskommt. Zurück in die Zukunft, sozusagen.
Lesetipp: Detailliertes Material über alle (!) Citroën-Modelle und den Firmengründer André Citroën hat die Marke anlässlich des eigenen Geburtstags hier zusammengetragen.