HALL OF CHAMPIONS: AYRTON SENNA
Senna - unsterblich nach dem Tod
Ayrton Senna ist unsterblich. Was auch mit seinem Tod zu tun hat.
02.01.2018Fotos: Ford, BMW
Wer kommt in die Hall of Fame?
AYRTON SENNA. Geboren am 21. März 1960 in Sao Paulo. Gestorben am 1. Mai 1994 in Bologna. Formel-1-Pilot von 1984 bis 1994. 161 Grand Prix mit Toleman, Lotus, McLaren und Williams. 41 Siege, 65 Pole Positions, 19 schnellste Runden. Weltmeister 1988, 1990, 1991 (jeweils auf McLaren).
Warum kommt er in die Hall of Fame?
In so gut wie allen relevanten Umfragen nach dem größten Rennfahrer aller Zeiten, die in den vergangenen 20 Jahren gemacht wurden, Erster. Was auch mit seinem Aura zu tun hat - Senna hat (auch bedingt durch seinen frühen Tod) nicht mehr WM-Titel als Jackie Stewart oder sein Feind Nelson Piquet, er hat weniger Rennen gewonnen als Sebastian Vettel und seine Siegquote ist nur ungefähr halb so hoch wie jene von Juan Manuel Fangio und etwa gleich mit der von Nie-Weltmeister Stirling Moss. Aber der Mythos um den Menschen Senna ist längst über den Piloten Senna hinausgewachsen. Was mit dem Gesamtkunstwerk zu tun hat: Wir erinnern uns an magische Runden, vor allem im Regen und vor allem in Monaco. Wir beten ihn an für die Art, wie er über seine Passion sprach und dafür, wie er den Tod Qualifying für Qualifying zum Tanz bat und dabei so lebendig wie nie war. Wir fühlten mit ihm, wie er sich mit der Obrigkeit und der Politik anlegte - im Kampf gegen das Netzwerk FI(S)A, Alain Prost und die Eliten der Macht waren die Rollen Gut und Böse subjektiv rasch verteilt. Und, wie bei Legenden so üblich, ist der Tod der Beginn der Unsterblichkeit: Live im TV, in Führung liegend, an einem der furchterregendsten Wochenenden der Formel-1-Geschichte. Wie sagte man damals: "Es war, als ob man live übertragen hätte, wie Jesus ans Kreuz genagelt wird." 600.000 Menschen kamen in Sao Paulo zu seinem Begräbnis.
Wer sollte in seiner Laudatio unbedingt zitiert werden?
Gerhard Berger. "Die Sonne ist vom Himmel gefallen." Kein Poet der Welt hätte es an diesem Tag besser formulieren können, was passiert war, als es der Tiroler getan hat. Er sagte es über den Mann, der ihm die Grenzen schonungslos aufgezeigt hat und doch spürt man einen Hauch von Liebe und von ehrlicher Bewunderung, wenn Berger über Senna redet. Die Beziehung der beiden Naturtalente, die bei McLaren aufeinandertrafen und wo der penible Perfektionist den schlampigen Lebemann im Ring meist besiegte, könnte der Ausgangspunkt großer Literatur sein. Zumal Berger Senna dafür abseits der Strecke zeigte, wie man das Leben genießen kann.
Was war seine Sternstunde?
Monaco, Mai 1988. Im Abschlusstraining zum Grossen Preis von Monaco 1988 fährt Senna im McLaren-Honda eine Runde, die als die magischte der Geschichte gilt. Um unvorstellbare 1,427 Sekunden ist er schneller als sein großer Teamkollege Alain Prost. Senna erzählte selbst von einem beinahe spirituellen Zustand – einer Art ausserkörperlicher Erfahrung. Er beschrieb einen Zustand, in dem er sich quasi selber beim Fahren zusah, alles funktionierte automatisch, der Verstand war vom Körper abgekoppelt. «Ich hatte bereits die Pole, um eine halbe Sekunde, aber ich fuhr immer schneller, eine Sekunde vor meinen Gegnern, dann fast eineinhalb Sekunden. Ich fuhr nur noch nach Instinkt, ich war in einer anderen Dimension, wie in einem Tunnel, jenseits von bewusstem Verständnis. An diesem Tag habe ich gesagt – das ist das Maximum, es gibt keinen Raum, um noch schneller fahren zu können. Dieses Gefühl habe ich nie wieder erreicht.»
Wo war sein Wohnzimmer?
Eben Monaco - eindeutig. Sechs Mal hat er hier gewonnen. Und dann war noch das Regen-Rennen 1984, in dem die Wunderkinder Stefan Bellof und Senna im strömenen Regen mit völlig unterlegenem Material wie über Wasser gingen. Und Senna hätte - im Toleman! - gewonnen, wenn nicht Rennleiter Jacky Ickx zur Freude seines führenden Freundes Alain Prost das Rennen unnötig abgebrochen hätte, um Prost vor dem heranstürmenden Senna zu retten. In dieser Stunde wurde freilich auch zwei Senna-Mythen geboren: seine Feindschaft mit dem "Professor Prost" und seine Rolle als ewiger Underdog im Kampf gegen die Windmühlen der Politik.
Was hasste er? Und: War er wirklich so gut - oder täuscht uns die Erinnerung doch etwas?
Senna hasste Niederlagen, Ungerechtigkeiten und Politik.
Aber eine Frage, die seit Jahrzehnten nicht in den zahlreichen Oden und Filmen über Senna auftaucht:
Ist er erst durch den Tod unsterblich geworden?
Senna-Jünger mögen es ungern hören - aber: ja, natürlich. Wie bei James Dean, Marylin Monroe ode Kurt Cobain ist der frühe Tod Teil des ewigen Ruhmes.
Längst vergessen ist, dass Reporter-Zeitgenossen in den 1980er-Jahren Senna als "Maschine" bezeichneten, als "Computer", als einen, der "nicht viel zu sagen" habe. Er wurde als Prototyp des unnahbaren Piloten beschrieben, der nicht das Charisma früherer Champions habe. Da sieht man: Das Heute sieht anders aus, wenn es morgen zu einem gestern geworden ist.
Selbst um seine Unfehlbarkeit in der Stunde seines Todes gibt es heute nicht mehr gehörte Stimmen. Während die genaue Ursache nie geklärt wurde (bei fünf kursierenden technischen Gründen), glaubt etwa sein Teamkollege Damon Hill an einen Fahrerfehler Sennas: "Ich hatte herausgefunden, dass man in der Mitte der Strecke fahren kann, um zwe Bodenwellen zu vermeiden, was allerdings ein paar Meter mehr bedeutete. Mit kalten Reifen und viel Sprit an Bord tat ich genau das. Die On-Board-Kamera von Michael Schumachers Auto zeigt, dass Sennas Auto zwei Mal über beide Unebenheiten rutscht, bei denen er keinen Versuch unternahm, sie auszulassen. Bei der zweiten Bodenwelle bekam das Auto plötzlich wieder Haftung, als er das Lenkrad in Korrekturposition hatte. Man kann aus den Bildern seiner Onboard-Kamera durch das Verschwinden eines gelben Knopfes auf dem Lenkrad aus dem Sichtfeld erkennen, dass er lenkte. Dies zeigt, dass das Auto auf seinen Input reagierte. Doch die Korrekturlenkung verpasste dem Auto einen heftigen Schlag, als die Aerodynamik wieder greift, die durch das Aufsetzen Haftung verloren hatte, sodass Ayrtons Kopf fast aus dem Auto katapultiert wurde. Meiner Meinung nach hatte Ayrton an diesem Punkt die Kontrolle verloren."
Freilich: 2014 räumte auch Williams-Superhirn Adrian Newey ein bei der Berechnung der Aerodynamik Fehler gemacht zu haben.
Was blieb von Senna?
Nach dem Tod des Genies Sennas wurden - unter der Führung von Max Mosley - massive Verbesserungen bei der Sicherheit in der Formel 1 erzielt. Schätzungen sprechen von bis zu 20 Piloten, denen in den vergangenen 23 Jahren das Leben gerettet wurde als Folge von Veränderungen nach dem Senna-Unfall.
Sennas Stiftungen sind immer noch ein großer Wirtschaftsfaktor, mit denen Tausenden armen Kindern geholfen wird.
Und: der aktuelle Weltmeister Lewis Hamilton ist ein glühender Senna-Fan, wie ja auch die gelbe Grundfarbe am Helm dokumentiert. Sennas Mutter gilt selbst als großer Hamilton-Verehrer.
Das ist Lewis fast mehr wert als seine vier WM-Titel. Was uns wiederum zeigt, wie groß Senna wirklich war.
AYRTON SENNA. Geboren am 21. März 1960 in Sao Paulo. Gestorben am 1. Mai 1994 in Bologna. Formel-1-Pilot von 1984 bis 1994. 161 Grand Prix mit Toleman, Lotus, McLaren und Williams. 41 Siege, 65 Pole Positions, 19 schnellste Runden. Weltmeister 1988, 1990, 1991 (jeweils auf McLaren).
Warum kommt er in die Hall of Fame?
In so gut wie allen relevanten Umfragen nach dem größten Rennfahrer aller Zeiten, die in den vergangenen 20 Jahren gemacht wurden, Erster. Was auch mit seinem Aura zu tun hat - Senna hat (auch bedingt durch seinen frühen Tod) nicht mehr WM-Titel als Jackie Stewart oder sein Feind Nelson Piquet, er hat weniger Rennen gewonnen als Sebastian Vettel und seine Siegquote ist nur ungefähr halb so hoch wie jene von Juan Manuel Fangio und etwa gleich mit der von Nie-Weltmeister Stirling Moss. Aber der Mythos um den Menschen Senna ist längst über den Piloten Senna hinausgewachsen. Was mit dem Gesamtkunstwerk zu tun hat: Wir erinnern uns an magische Runden, vor allem im Regen und vor allem in Monaco. Wir beten ihn an für die Art, wie er über seine Passion sprach und dafür, wie er den Tod Qualifying für Qualifying zum Tanz bat und dabei so lebendig wie nie war. Wir fühlten mit ihm, wie er sich mit der Obrigkeit und der Politik anlegte - im Kampf gegen das Netzwerk FI(S)A, Alain Prost und die Eliten der Macht waren die Rollen Gut und Böse subjektiv rasch verteilt. Und, wie bei Legenden so üblich, ist der Tod der Beginn der Unsterblichkeit: Live im TV, in Führung liegend, an einem der furchterregendsten Wochenenden der Formel-1-Geschichte. Wie sagte man damals: "Es war, als ob man live übertragen hätte, wie Jesus ans Kreuz genagelt wird." 600.000 Menschen kamen in Sao Paulo zu seinem Begräbnis.
Wer sollte in seiner Laudatio unbedingt zitiert werden?
Gerhard Berger. "Die Sonne ist vom Himmel gefallen." Kein Poet der Welt hätte es an diesem Tag besser formulieren können, was passiert war, als es der Tiroler getan hat. Er sagte es über den Mann, der ihm die Grenzen schonungslos aufgezeigt hat und doch spürt man einen Hauch von Liebe und von ehrlicher Bewunderung, wenn Berger über Senna redet. Die Beziehung der beiden Naturtalente, die bei McLaren aufeinandertrafen und wo der penible Perfektionist den schlampigen Lebemann im Ring meist besiegte, könnte der Ausgangspunkt großer Literatur sein. Zumal Berger Senna dafür abseits der Strecke zeigte, wie man das Leben genießen kann.
Was war seine Sternstunde?
Monaco, Mai 1988. Im Abschlusstraining zum Grossen Preis von Monaco 1988 fährt Senna im McLaren-Honda eine Runde, die als die magischte der Geschichte gilt. Um unvorstellbare 1,427 Sekunden ist er schneller als sein großer Teamkollege Alain Prost. Senna erzählte selbst von einem beinahe spirituellen Zustand – einer Art ausserkörperlicher Erfahrung. Er beschrieb einen Zustand, in dem er sich quasi selber beim Fahren zusah, alles funktionierte automatisch, der Verstand war vom Körper abgekoppelt. «Ich hatte bereits die Pole, um eine halbe Sekunde, aber ich fuhr immer schneller, eine Sekunde vor meinen Gegnern, dann fast eineinhalb Sekunden. Ich fuhr nur noch nach Instinkt, ich war in einer anderen Dimension, wie in einem Tunnel, jenseits von bewusstem Verständnis. An diesem Tag habe ich gesagt – das ist das Maximum, es gibt keinen Raum, um noch schneller fahren zu können. Dieses Gefühl habe ich nie wieder erreicht.»
Wo war sein Wohnzimmer?
Eben Monaco - eindeutig. Sechs Mal hat er hier gewonnen. Und dann war noch das Regen-Rennen 1984, in dem die Wunderkinder Stefan Bellof und Senna im strömenen Regen mit völlig unterlegenem Material wie über Wasser gingen. Und Senna hätte - im Toleman! - gewonnen, wenn nicht Rennleiter Jacky Ickx zur Freude seines führenden Freundes Alain Prost das Rennen unnötig abgebrochen hätte, um Prost vor dem heranstürmenden Senna zu retten. In dieser Stunde wurde freilich auch zwei Senna-Mythen geboren: seine Feindschaft mit dem "Professor Prost" und seine Rolle als ewiger Underdog im Kampf gegen die Windmühlen der Politik.
Was hasste er? Und: War er wirklich so gut - oder täuscht uns die Erinnerung doch etwas?
Senna hasste Niederlagen, Ungerechtigkeiten und Politik.
Aber eine Frage, die seit Jahrzehnten nicht in den zahlreichen Oden und Filmen über Senna auftaucht:
Ist er erst durch den Tod unsterblich geworden?
Senna-Jünger mögen es ungern hören - aber: ja, natürlich. Wie bei James Dean, Marylin Monroe ode Kurt Cobain ist der frühe Tod Teil des ewigen Ruhmes.
Längst vergessen ist, dass Reporter-Zeitgenossen in den 1980er-Jahren Senna als "Maschine" bezeichneten, als "Computer", als einen, der "nicht viel zu sagen" habe. Er wurde als Prototyp des unnahbaren Piloten beschrieben, der nicht das Charisma früherer Champions habe. Da sieht man: Das Heute sieht anders aus, wenn es morgen zu einem gestern geworden ist.
Selbst um seine Unfehlbarkeit in der Stunde seines Todes gibt es heute nicht mehr gehörte Stimmen. Während die genaue Ursache nie geklärt wurde (bei fünf kursierenden technischen Gründen), glaubt etwa sein Teamkollege Damon Hill an einen Fahrerfehler Sennas: "Ich hatte herausgefunden, dass man in der Mitte der Strecke fahren kann, um zwe Bodenwellen zu vermeiden, was allerdings ein paar Meter mehr bedeutete. Mit kalten Reifen und viel Sprit an Bord tat ich genau das. Die On-Board-Kamera von Michael Schumachers Auto zeigt, dass Sennas Auto zwei Mal über beide Unebenheiten rutscht, bei denen er keinen Versuch unternahm, sie auszulassen. Bei der zweiten Bodenwelle bekam das Auto plötzlich wieder Haftung, als er das Lenkrad in Korrekturposition hatte. Man kann aus den Bildern seiner Onboard-Kamera durch das Verschwinden eines gelben Knopfes auf dem Lenkrad aus dem Sichtfeld erkennen, dass er lenkte. Dies zeigt, dass das Auto auf seinen Input reagierte. Doch die Korrekturlenkung verpasste dem Auto einen heftigen Schlag, als die Aerodynamik wieder greift, die durch das Aufsetzen Haftung verloren hatte, sodass Ayrtons Kopf fast aus dem Auto katapultiert wurde. Meiner Meinung nach hatte Ayrton an diesem Punkt die Kontrolle verloren."
Freilich: 2014 räumte auch Williams-Superhirn Adrian Newey ein bei der Berechnung der Aerodynamik Fehler gemacht zu haben.
Was blieb von Senna?
Nach dem Tod des Genies Sennas wurden - unter der Führung von Max Mosley - massive Verbesserungen bei der Sicherheit in der Formel 1 erzielt. Schätzungen sprechen von bis zu 20 Piloten, denen in den vergangenen 23 Jahren das Leben gerettet wurde als Folge von Veränderungen nach dem Senna-Unfall.
Sennas Stiftungen sind immer noch ein großer Wirtschaftsfaktor, mit denen Tausenden armen Kindern geholfen wird.
Und: der aktuelle Weltmeister Lewis Hamilton ist ein glühender Senna-Fan, wie ja auch die gelbe Grundfarbe am Helm dokumentiert. Sennas Mutter gilt selbst als großer Hamilton-Verehrer.
Das ist Lewis fast mehr wert als seine vier WM-Titel. Was uns wiederum zeigt, wie groß Senna wirklich war.
Gerhard Berger zeigte Senna das Leben - und fand zu seinem Tod den passenden Satz.