HONDA-STAR
Marc Marquez: Mann und Mythos
Es war die verrückteste Motorsport-Geschichte seit dem Corona-Boxenstopp. Und die verwegenste.
Sonntag beim Saison-Auftakt in Jerez hatte Marc Marquez wieder einmal die ganze Bandbreite von Genie und Wahnsinn auf und neben seiner Honda abgeliefert.
Erst hatte der Spanier auf Sieg-Kurs einen furchterregenden Ausritt – unglaublich, wie er sich bei diesem Höllenritt über die Wiese mit Anfangs mehr als 100 km/h auf seiner Honda halten konnte.
Unfassbar, was er danach leistete – als er vom letzten Platz wieder Richtung Top 3 raste.
Unbeschreiblich, wie er dann Ausgangs jener Kurve, in der einst die Karriere von Mick Doohan für immer in die Brüche gegangen war, einen furchterregenden Highsider produzierte und abgeworfen wurde. Am Boden traf die fliegende Maschine noch seinen Oberarm, der gebrochen wurde.
Dienstag wurde MM93 in Barcelona operiert und alle rätselten, wie viele Wochen oder gar Monate er ausfallen wird. Und ob er damit in der (heuer so kurzen) WM schon alles verloren hat.
Doch nun war Marc wieder da – er wollte schon dieses Wochenende den zweiten Grand Prix in Jerez bestreiten, also ohne Pause mit einem Oberarmbruch und folgender OP einfach weitermachen.
Selbst für einen Menschen, der nicht ganz von dieser Welt zu sein scheint, ist das ein verwegenes, verrücktes, verdammt gefährliches Abenteuer. Es hat nicht geklappt, die Schmerzen sind zu groß. Nach einigen Runden musste Marc sein Projekt beenden. Honda-Tester und ServusTV-Experte Stefan Bradl: "Seine Probleme sind vor allem beim Beschleunigen aus der Kurve raus zu spüren."
Nächster Versuch: Brünn.
Achtmal ist er schon Weltmeister geworden.
Seinen siebenten Titel, den fünften in der MotoGP, gewann er 2018. Und, zur Freude seiner Lebens-Marke, hat er diesen Titel damals vorzeitig gesichert - bei Honda daheim in Japan, in Motegi.
Es war bereits sein achter Sieg in jener Saison und damit wurde er schon drei Rennen vor Schluß ein weiteres Mal der Champion. Er feierte den Titel so intensiv, dass er sich die Schulter auskegelte: "Vor lauter Adrenalin ist mir das gar nicht aufgefallen", grinst Marquez und bleibt locker: "Da muss ich es bei der Party am Tanzboden wohl etwas ruhiger angehen."
Nun aber hat er sich den Oberarm sogar gebrochen, eine komplexe Verletzung für einen Motorradfahrer. KTM-Rookie Brad Binder konnte es nicht glauben: "Er scheint kein Mensch zu sein. Ich glaube, er könnte auch mit einem Arm am Rücken noch ein fantastisches Ergebnis einfahren." Binder am Donnerstag weiter: "Komfortabel wird es für ihn aber nicht", ist der Südafrikaner überzeugt: "Eine meiner größten Ängste ist es, mir den Oberarm oder den Oberschenkel zu brechen. Das sind dicke Knochen. Es ist eine Sache, den Bruch mit Platten fixiert zu haben. Aber die Schmerzen bleiben." Er selbst hat sich vor zwei Jahren den Unterarm gebrochen – "und er ist bis heute nicht so wie davor."
Marc aber wollte Gas geben, trotz Sicherheits-Bedenken vieler. Vier Tage nach einer Operation, in dem ihm eine Titanplatte in den Arm gesetzt wurde.
Typisch MM93. Cool, verrückt, manchmal wahnsinnig. Ein Bewegungstalent.
Andrea Schlager, ebenso kompetente wie populäre Moderatorin bei Österreichs MotoGP-Sender Servus TV, verfolgt die Karriere von MM93 seit Jahren aus der Nähe. Schon lange bewundert sie seine Leistungen, wie sie im Interview mit motorprofis.at erzählte: "Er ist einfach der kompletteste Fahrer, den es aktuell in der MotoGP gibt. Egal wie viele Crashes erhat, ihn bringt nichts aus der Ruhe. Man könnte fast sagen: je mehr er crasht, desto besser ist er dann. Marcs big saves sind einzigartig und haben den Sport auf ein neues Level gehoben. Er hat einen neuen riding style geprägt." Einer dieser Saves rettete ihn in Jerez in der Anfangsphase, gegen den Highsider dann war er selbst er machtlos.
Gustl Auinger, Schlagers kongenialer Moderations-Partner bei Servus TV und im "Hauptjob" Österreichs größte lebende Motorrad-Legende, erinnert sich auch gut an die Jahre, die Marquez bei KTM verbrachte. Obwohl damals schon klar war, dass sich KTM (vorübergehend) aus der Motorrad-WM zurückziehen würde, nutzte der Spanier seine österreichische Chance: "Für ihn war die Situation sogar gut. Da es keine Entwicklungsarbeit mehr gab und keinen Druck, konnte er Ruhe reifen und Fehler machen. Und er hat all seine Rennen damals gut analysiert und immer richtige Schlüsse daraus gezogen."
Im Juni 2018 war Marc wieder einmal in Auingers "Büro", also auf dem Red Bull Ring.
Er durfte einen Formel-1-Boliden in Honda-Verkleidung testen. Ein Traum für den Auto-Liebhaber Marquez: "Ich habe großen Respekt vor den Formel-1-Piloten. Und, selbst wenn ich den Red Bull Ring sehr gut kenne, ist es eine große Herausforderung einen solchen Boliden zu bewegen."
Er machte es gut.
Dass am Ende der damalige Teamkollege Dani Pedrosa, wie man hört, schneller war, dürfte den ehrgeizigen MM aber trotzdem gestört haben.
Auf einem Motorrad ist er dagegen unschlagbar, egal was man von ihm will. Red Bull schickte ihn mal auf auf einer Honda RC213V bergauf – und er brauste damit über den japanischen Nürburgring, über den «Hakone Turnpike». Marc hat seine Gaudi, als es darum ging, auf einer der anspruchsvollsten Strecken des Landes an Trucks und Autos aus den 70er-Jahren vorbeizuziehen.
Doch jetzt hat er eine andere Mission: die Marke von neun WM-Titeln von Erzfeind Valentino Rossi einzustellen – noch zu dessen aktiven Zeiten. Selbst nach einer Nullnummer im ersten Rennen und nach einer Operation 40 Stunden danach.
Fährt Marc tatsächlich in Jerez und punktet er sogar, ist der Übermensch auf seiner Maschine endgültig auch ein Mythos.
Servus TV überträgt Sonntag alle Rennen, Andrea Schlager berichtet live aus dem abgeschotteten Fahrerlager, Christian Brugger und Alex Hofmann kommentieren.
Für die Familie Marquez ist es aber ein Tag der Schmerzen: Denn Bruder Alex ist ebenfalls gestürzt, Sonntag lastet trotzdem die ganze Verantwortung auf ihm.