ERSTER TEST: NISSAN MICRA
Müssen sich Corsa & Co warm anziehen?
Fesch sieht ja aus. Aber auch ganz schön groß für einen Micra?
Richtig, der Micra ist deutlich länger (+17 cm) und breiter (+8 cm), dafür etwas flacher geworden. Mit seiner nunmehrigen Länge von vier Metern stößt er in ein ganz anderes Segment vor. Statt wie bisher gegen Fiat 500, Renault Twingo oder VW up! tritt er nun gegen Polo, Corsa, Clio, Fiesta und all die anderen Konsorten im so genannten B-Segment an.
Ist er dafür gut gerüstet?
Nissan ist stolz darauf, dass der neue Micra in fünfter Generation erstmals speziell für Europa entwickelt worden ist. Er wird auch hier gebaut, in einem französischen Renault-Werk, in dem auch der Clio vom Band läuft. Eine allzu enge Verwandtschaft mit dem Clio wird bei Nissan aber strikt zurückgewiesen: Vom Clio werden zwei der drei Motoren sowie die Getriebe übernommen, dazu ein paar Schräubchen hier und da – aber die Plattform sei eigenständig. Sie wurde vom Vorgängermodell übernommen und drastisch modifiziert.
Apropos Motoren: Womit startet Nissan?
Den Löwenanteil des Markts wird der Einstiegsmotor, ein neu von Nissan entwickelter 1,0-Saug-Benziner mit drei Zylindern und 73 PS, abdecken. Ihn konnten wir bei der Präsentation leider nicht fahren, dafür aber die beiden anderen Aggregate: den 0,9-Dreizylinder-Turbobenziner und den 1,5 dCi, beide mit 90 PS. Sie stammen von Konzernpartner Renault und werden unter anderem auch im Clio verwendet.
Klingt brav – ist das auch so?
Durchaus. Der Diesel wirkt sogar eine Spur souveräner, geschmeidiger – und dabei völlig unbrummig. Die Dämmung ist wirklich exzellent, ganz besonders für ein Auto dieser Größen- und Preisklasse. Den teureren Einstandspreis (rund 2000 Euro) wird man über den Verbrauchsvorteil gegenüber dem Benziner kaum hereinfahren – dazu würde man weit mehr als 100.000 Kilometer brauchen. Deswegen werden deutlich mehr Käufer zum Benziner greifen, mutmaßt Nissan. Der kleine Turbo-Dreier hängt ein wenig nervöser am Gas und ist vom Akustik- und Vibrationskomfort auch nicht besser als der Vierzylinder-Diesel, macht aber in Summe aber ebenfalls einen guten Job. Die Wahl bleibt letztlich eine Budget- und Geschmacksfrage.
Agilität? Fahrwerkskomfort?
Das Fahren ist neben dem äußerst einnehmenden Karosseriedesign eine der Stärken des neuen Micra. Er gibt sich äußerst agil, fast schon richtig sportlich, bietet aber dennoch eine gute Portion Komfort. Übrigens war bei unseren Testfahrten hier auch der Diesel besser: Sein Fahrwerk wurde eine Spur konzilianter abgestimmt, außerdem liegt er durch das etwas höhere Gewicht satter, souveräner am Asphalt.
Wie wirkt sich das Größenwachstum auf das Raumangebot aus?
Der Sitzkomfort, generell die Ergonomie, ist vorne für ein Vier-Meter-Auto fantastisch. Sehr gut gefällt uns, dass man das Lenkrad nicht nur in der Höhe, sondern auch in der Tiefe verstellen kann – längst noch nicht selbstverständlich in dieser Klasse. Außerdem verfügt der Fahrersitz über einen extrem weiten Verstellbereich, da kann man sich auch als größer gewachsener Europäer einen schmucken Arbeitsplatz einrichten. Das Raumangebot im Fond ist hingegen überschaubar, auch der Sitzkomfort auf der spartanisch-straffen Sitzbank für Erwachsene kaum langstreckentauglich. Der Kofferraum wurde wiederum mit 300 Litern am oberen Ende dieser Klasse angesiedelt. Eine verschiebbare Rückbank gibt’s leider nicht, nach dem Umklappen der Fondsitzlehne bleibt eine große Stufe erhalten.
Wie ist das Wohlgefühl an Bord?
Hoch, auch wenn Nissan im Interieur eine deutlich konservativere Linie einschlägt als beim Außendesign. Die Instrumente sind klassisch, werden ab Acenta mit einem dazwischen platzierten 5-Zoll-TFT-Display und einem großen 7-Zoll-Bildschirm in der Mittelkonsole ergänzt. Die Verarbeitung scheint fehlerlos, die verarbeiteten Materialien wirken hochwertig. Viel Aufmerksamkeit wurde auch auf Ablagen gerichtet: Vor und hinter dem Schalthebel ist genügend Raum fürs Smartphone, Getränke und weiteres Kleinzeugs.
Auch kleine Autos bieten heute viele elektronische Assistenten an. Zieht der Micra hier mit?
Ja, serienmäßig ist in allen Versionen ein Notbremsassistent an Bord, außerdem eine intelligente Fahrkomfortregelung (Intelligent Ride Control) und eine intelligente Spurkontrolle (Intelligent Trace Control). Bei beiden wird das Fahrverhalten durch unmerkliche Bremseingriffe wirksam verbessert. Eine ergänzende Fußgängererkennung, ein aktiver Spurhalte-Assistent, ein Totwinkel-Assistent, die Verkehrszeichenerkennung und der Around-View-Monitor sind je nach Ausstattungsversion serienmäßig oder per Aufpreis zu bekommen.
Wie sieht’s in punkto Infotainment aus?
In der mittleren Ausstattung Acenta ist das System NissanConnect gegen Aufpreis zu haben, bei höheren Levels dann serienmäßig. Es funktioniert alles wunderbar, allerdings sind Look und Grafik schon etwas angejahrt – da haben andere Hersteller bereits modernere Systeme im Einsatz. Seltsam: Wer Apple CarPlay haben will, muss das reine Soundsystem in der Acenta-Ausstattung wählen. Das tollere NissanConnect beherrscht Apple CarPlay nicht. Und auf Android Auto muss man noch bis 2018 warten.
Gibt es weitere Innovationen?
Ja, auf der Musikseite. Im neuen Micra feiert ein extra für kleine Autos maßgeschneidertes Soundsystem von Bose („Personal Premium Soundsystem“) Premiere. Es kommt ohne platzraubenden Subwoofer aus, integriert dafür zwei Lautsprecher in der Kopfstütze des Fahrers. Damit erhält man einen fantastischen Surround-Sound und eine Klangqualität, die man in kleinen Autos sonst nur bei den wenigen Premiumanbietern findet. Das System ist in der Tekna-Version serienmäßig, bei Acenta und N-Connecta gegen Aufpreis zu haben. Außerdem bietet Nissan einige Pakete zur Individualisierung an: jeweils drei Interieur- und drei Exterieurpakete (in vier verschiedenen Farben) sorgen in Verbindung mit zehn Lack-Optionen für 125 verschiedene Möglichkeiten – darunter auch einige ausgesprochen sportliche Looks.
Apropos Extras: Wie sieht’s mit Automatik aus?
Vorderhand werden nur Versionen mit Fünfgang-Schaltgetriebe angeboten. Ob es eine Automatik geben wird – und wenn ja: welche? – wird angeblich erst entschieden. Vor 2018 ist damit definitiv nicht zu rechnen.
Und stärkere Motoren, vielleicht sogar eine Nismo-Version?
Auch hier hält sich Nissan bedeckt, stärkere Motoren sind aber auf jeden Fall in Planung, hört man unter der Hand. Passende Maschinchen (1,2 DIG-T mit 115 PS oder den 1,6 DIG-T mit bis zu 218 PS) hätte man ja im Regal.
Als Resümee die entscheidende Frage vom Einstieg wiederholt: Kann der Micra die etablierten Bestseller im Kleinwagensegment herausfordern?
Auf jeden Fall: Das Upgrade um eine ganze Klasse ist geglückt, der Micra befindet sich auf Augenhöhe mit der Konkurrenz, zählt in einigen Punkten sogar zu den Klassenbesten. Zu seinen großen Stärken zählen neben dem fetzigen Design das Raumangebot auf den Vordersitzen, das souveräne Fahrverhalten und die gute Geräuschdämmung.
Nissan Micra
Verkaufsstart in Österreich: März 2017
Österreich-Preise, Stand Jänner 2017
Nissan Micra Visia 1,0 54 kW/73 PS € 12.605,––
Nissan Micra Visia Plus 1,0 54 kW/73 PS € 13.405,––
Nissan Micra Acenta 1,0 54 kW/73 PS € 14.819,––
Nissan Micra Visia Plus 0,9 IG-T 66 kW/90 PS € 15.137,––
Nissan Micra Acenta 0,9 IG-T 66 kW/90 PS € 16.550,––
Nissan Micra N-Connecta 0,9 IG-T 66 kW/90 PS € 18.359,––
Nissan Micra Tekna 0,9 IG-T 66 kW/90 PS € 20.129,––
Nissan Micra Visia 1,5 dCi 66 kW/90 PS € 16.381,––
Nissan Micra Visia Plus 1,5 dCi 66 kW/90 PS € 17.161,––
Nissan Micra Acenta 1,5 dCi 66 kW/90 PS € 18.541,––
Nissan Micra N-Connecta 1,5 dCi 66 kW/90 PS € 20.305,––
Nissan Micra Tekna 1,5 dCi 66 kW/90 PS € 21.775,––
Nissan Micra: Die Geschichte von Japans Kultbüchse
Der Micra nimmt seit 1983 einen Fixplatz im Straßenbild ein. Seit damals wurden weltweit rund sieben Millionen Stück verkauft, die Hälfte davon in Europa. Auch in Österreich fand der Micra viele Liebhaber: fast 65.000 Käufer. Rund 16.000 Micras sind aktuell in Österreich noch angemeldet. Ein Highlight und Verkaufsrenner bei uns war das Sondermodell „Micra Mouse“, das unter der neuen Positionierung des Micra wohl nicht mehr denkbar ist. Oder vielleicht doch?
Die vergangenen 33 Jahren wurden von vier Generationen bespielt, wovon die ersten drei besonders erfolgreich waren. Generation II gelang zudem das Kunststück, als erstes japanisches Fahrzeug zu Europas Auto des Jahres gewählt zu werden. Darauf ist man heute noch stolz. Generation III wurde dann als erster Micra auch in Europa gebaut (im britischen Werk Sunderland). Der Absturz kam mit Generation IV, als sich ein paar schlaue Nissan-Manager einbildeten, mit einem einzigen Auto die ganze Welt glücklich machen zu können. Ging natürlich schief, der Micra war ein Riesenflop und nur über großzügige Rabatte unters Volk zu bringen. Umso besser, dass Nissan aus dem Fehler gelernt hat und nun wieder ein Auto baut, dass auf kontinental unterschiedliche Gegebenheiten Rücksicht nimmt. Besser noch: für uns Europäer maßgeschneidert wurde.