ERSTER TEST: CITROËN AMI
Die ersten Meter in der Bio-Zitrone
Die gleiche wie schon so oft in der über 100-jährigen Geschichte von Citroën: Individuelle Mobilität soll allen zugänglich sein, nicht nur einer Elite. Auf diesem demokratischen Ansatz gründet die Marke, der erste Citroën war 1919 auch das erste für breitere Schichten erschwingliche Fahrzeug. Mit Autos wie Typ H, Mehari und natürlich dem 2CV bewies Citroën dann immer wieder sein legendäres Gespür für günstige Mobilität.
Braucht es denn heute wieder eine Demokratiebewegung in der Mobilität?
In den Städten definitiv. Der Mix aus Parkplatzknappheit, Mautgebühren und Umweltzonen bereitet dem Auto in den Metropolen inzwischen ein schwieriges Umfeld. Und nun kündigt sich durch die Elektrifizierung eine weitere Limitierung an, denn einerseits wollen viele Städte in Zukunft nur noch Batteriefahrzeuge erlauben, andererseits kosten die Stromer deutlich mehr als Benzin- und Dieselautos heute.
Welchen Lösungsansatz bietet Citroën an?
Durch radikale Reduktion auf das Wesentliche soll ein radikal günstiges Elektrofahrzeug entstehen. Diese Idee hatte Citroën mit dem Ami One Concept im Vorjahr quasi vorgeschlagen und enorm viele Rückmeldungen erhalten – ein Jahr später folgt daher jetzt schon das Serienmodell.
Eigentlich nur den Renault Twizy, der mit unglaublichem Fahrspaß im Stil eines Go-Karts gesegnet und im Vergleich zum Ami etwas näher am Zweirad angesiedelt ist: er hat daher keine komplett abschließenden Türen, die zwei Sitze sind hintereinander angeordnet, der Stauraum ist limitierter. Leichtfahrzeuge wie sie zum Beispiel Ligier anbietet, sind dagegen deutlich teurer und somit eigentlich keine Ami-Konkurrenz.
Wie ernst es Citroën mit der Reduktion ist, zeigt schon das Format des Ami…
Wenn der kleine Kumpel – Ami ist Französisch für „Freund“ – um die Ecke biegt, erinnert das die etwas älteren Österreicher unweigerlich an den Puch 500, der in den 1950er- und 1960er-Jahre für Zehntausende das erste Auto war.
Vom Pucherl zur umweltfreundlichen Bio-Zitrone (warum die Citroën-Fans ihre Autos so gerne Zitrone nennen, lesen Sie hier) ist es atmosphärisch nicht so weit: Einerseits ist der Ami mit nur 2,41 Metern Länge und 1,39 Metern Breite – das sind jeweils fast 30 Zentimeter weniger als beim aktuellen smart! – so süß klein, wie man nur sein kann. Andererseits hat er, wie das rennerprobte Puch-Schammerl damals auch, eine gwisse sportliche Note, und ist damit Unisex.
Auch technisch macht der Ami drastische Schritte – welche?
Seine Karosserie besteht vollkommen aus Kunststoff (der Ami ist übrigens zu 90 Prozent recycelbar), wodurch das gesamte Fahrzeug nur 485 Kilo wiegt, nicht einmal halb soviel wie ein smart. Neben dem Gewicht reduziert der Ami auch seine Ansprüche auf rein urbane Fahrleistungen: 70 Kilometer Reichweite und 45 km/h Höchstgeschwindigkeit. Dafür genügt ihm dann auch eine winzige Batterie, sie ist mit einer Kapazität von 5,5 kWh fast 20 Mal (!) kleiner als beim stärksten Tesla Model S. Das wiederum ermöglicht schnelles Aufladen ohne Aufwand, der Ami muss nicht an Ladestationen oder Wallboxen angeschlossen werden, sondern ist an der ganz normalen Steckdose in drei Stunden wieder voll.
Aber nicht nur der einfache Ladeprozess erinnert an das Handy, sondern auch der Tarif. Wie viel kostet der Ami?
Vorerst gibt es nur die Preise für Frankreich, aber die haben es in sich. Wohl nicht ganz zufällig bietet Citroën den auf Großstädter zugeschnittenen Ami mit 19,99 Euro pro Monat quasi zum Handytarif an. Eine Anzahlung von 2.644 Euro müssen sich die Jungen in dieser Kalkulation zwar noch von der Oma zuschießen lassen. Oder sie probieren mal was Progressives und lassen beim iPhone zwei Generationen aus.
Der Kaufpreis beträgt in Frankreich 6.000 Euro, wobei der Umweltbonus von 900 Euro für elektrifizierte Fahrzeuge da schon abgezogen ist.
Zusätzlich wird der Ami über Free2Move, dem Carsharing-Programm des PSA-Konzerns, in der Stadt zum Minutentarif von 0,26 Euro zu mieten sein – was auch nicht ganz zufällig den Tarifen der meist amerikanischen Mini-Scooter-Anbieter entspricht und diese als das entlarvt, was sind: überzogen.
Trotz vier Rädern, Lenkrad und Dach überm Kopf ist der Ami rechtlich gesehen kein Auto – kann er somit auch wirklich von JEDEM gefahren werden?
Durch die Reduktion auf 45 km/h ist der Ami rechtlich gesehen ein „leichtes Vierradfahrzeug“ und kann somit ohne Auto-Führerschein gefahren werden. In Österreich darf jeder, der über 15 Jahre ist und einen Mopedführerschein hat, den Ami fahren.
Allerdings darf man den Ami auch nicht nach den gleichen Maßstäben wie ein normales Auto messen. Warum nicht?
Die Sicherheitsstandards eines Autos hat der Ami natürlich nicht. Er ist auch nicht bei den Autos einzuordnen, denn die Kausalitätskette „kleines Gewicht – kleine Batterie – kleiner Preis“ funktioniert ja technisch wie rechtlich nur durch die Tempobeschränkung.
Somit steht er auf der Hierarchieebene der Zweiräder – als eine weitere Fortbewegungsmöglichkeit in der Stadt neben dem normalen Auto.
Steigen wir ein. Wie fühlt sich der Ami an, wenn man drinnen sitzt?
Den ersten Überraschungseffekt gibt es beim Einsteigen selbst – die Fahrertür ist hinten angeschlagen. Auf der Beifahrerseite ist es umgekehrt, sie ist herkömmlich montiert. Nach dem Drücken auf das Schloss öffnet die Tür mit einem mechanischen Klacken, man steigt durchaus bequem ein, denn in der Höhe ist der Ami mit 1,52 Metern ja fast auf normalem Niveau. Der Hit beim Ami: Obwohl er viel schmäler als normale Autos ist, sitzt man wie in einem normalen Auto nebeneinander. Damit es Schulterfreiheit für Fahrer und Beifahrer gibt, wurden der fix montierte Beifahrersitz und der längs verschiebbare Fahrersitz ein wenig versetzt. Eine gewisse Zweisamkeit entsteht natürlich trotzdem, für romantische Dates ist der Ami also quasi Pflicht.
Sobald man sitz, folgt der nächste Überraschungseffekt: Das fahrzeug wirkt geradezu riesig. Einfacher Grund: Fahrer und Beifahrer sitzen weit hinten, fast auf der Hinterachse, und haben dadurch das gesamte Auto vor sich. Um keinen Tunneleffekt entstehen zu lassen, hat der Ami ein Glasdach und ist wunderbar hell. Stauraum für Taschen und Einkäufe gibt es hinter den Sitzen, wobei der Weg dorthin über den Innenraum geht, eine Heckklappe gibt es nicht. Im Fußraum des Beifahrers ist allerdings auch noch Platz, wenn ein Beifahrer anwesend ist, wer also keine Hamsterkäufe macht, wird zurechtkommen.
Lustig. Um das Ziel der unschlagbar günstigen Elektromobilität zu erreichen, hat Citroen radikal reduziert wie zu Zeiten des 2CV. Was nicht unbedingt gebraucht wird – gibt es auch nicht. Zählen wir lieber auf, was da ist. Da wären: Ein Lenkrad. Ein Lenkstockhebel, als Bedienelement für Blinker und Scheibenwischer. Ein Display hinter dem Lenkrad, das die Geschwindigkeit anzeigt. Drei kleine Knöpfe, je einer für die Warnblickanlage, die Scheibenbelüftung und die allgemeine Belüftung. Des Weiteren sind an Bord: Zwei herkömmliche Sicherheitsgurte. Zwei rote Stofflaschen, die als Türöffner dienen. Zwei Entriegelungsmechanismen für die im Stil des 2CV nach oben zu klappenden Seitenfenster. Drei etwas größerer Knöpfe, links neben dem Fahrersitz platziert, für Vorwärtsgang, Rückwärtsgang und Neutralstellung der Automatik. Und schließlich, quasi als zentrales Element, eine Handy-Halterung. Dort spannt man sein Smartphone ein, das dann sämtliche heute üblichen Komfortfunktionen von der Navigation bis zum Radio von Extern übernimmt. So einfach ist das.
Optisch darf man sich keine Wunderdinge erwarten, es dominiert im Innenraum harter dunkler Kunststoff – wir erinnern uns, Sie zahlen 19,99 im Monat… für das Gemüt gibt es aber zahlreiche bunte Individualisierungsmöglichkeiten, so kann man zum Beispiel über die Trennnetze in den Türen, die Ablagefächer im Armaturenbrett, die Fußmatten und einen markanten Handtaschenhacken viele farbliche Akzente setzten.
Kann man auch das Außendesign gestalten?
Auch hier gilt grundsätzlich: einfache Produktion heißt niedriger Preis. Daher gibt es nur eine Außenfarbe. Aber keine Angst: Citroën hat sich ein cooles Hellblau ausgesucht, dass ziemlich Unisex ist. Dazu gibt es dann Individualisierungs-Pakte mit Felgenaufsätzen und Stickern, die Farbakzenten in Grau, Blau, Orange und Khaki setzten.
Für den ganz coolen Auftritt quasi Pflicht ist eines der zwei Designpakete „My Ami Pop“ und My Ami Vibe“, die markante Kunststoffeinsätze umfassen. Ersteres – unser absoluter Favorit – betont den sportlichen Auftritt mit großem Startnummern-Sticker und Heckflügel. Zweiteres geht mit graphischen Mustern in die elegantere Richtung. Zwar nennt Citroën noch keine Preise für diese Sonderausstattungen, versichert aber, dass sie wie das gesamte Auto sensationell günstig sein werden.
Wir konnten erste Meter mit dem Ami (mit-)fahren. Wie ist der erste Fahreindruck?
Citroën verrät noch nicht, wie viel PS der Ami hat, es wird vermutlich in Richtung acht PS gehen. Klingt nicht viel, aber das Auto wiegt ja auch 1000 Kilo weniger als die meisten normalen Autos, und zudem verhält sich ein Elektromotor anders als ein Verbrenner: er hat sein Drehmoment sofort parat, ab Drehzahl Null. Dementsprechend zieht der Ami auch sofort freudig an, wenn das Gaspedal durchgedrückt wird, das gibt ihm eine schöne Lebendigkeit, soviel haben die ersten Meter schon gezeigt. Mit Blick auf den ähnlich leichten Twizy darf man auch vom Ami erwarten, dass er entschlossen auf seinen Topspeed beschleunigt. Viel Spaß beim Gasserlheizen…
Grundsätzlich muss man den Ami anders fahren und denken als ein Auto…
Ja, klar. Alles ist möglichst unkompliziert und einfach gemacht. Sitz und Lenkrad werden also über die Längsverstellung des Stuhls hinaus nicht weiter aneinander angepasst. Auf Heizung und Klimatisierung wird verzichtet, es gibt ein Gebläse mit einem Ausgang unterhalb der Scheibe – die Knöpfe für Scheibenbelüftung und allgemeine Belüftung unterscheiden sich nur durch die Intensität des Luftstroms. Man macht im Sommer das Fenster auf und lässt im Winter die Jacke an. An der Klima zu tüfteln oder das Gewand abzulegen, würde die Idee des schnellen „hop-on-hop-off“ eh schon wieder untergraben.
Einen entscheidenden Knackpunkt gibt es…
70 Kilometer Reichweite im Idealfall, das ist genug für die Stadt, setzt aber trotzdem eine Handy-artige Nutzung mit häufigerem Aufladen voraus. Um sich mit dem Auto wohl zu fühlen, wird man also eine Steckdose in der Nähe haben müssen. Das sollte sich für viele Städter künftig einrichten lassen, wenn ein Parkplatz vorhanden ist. Für die anderen müssen auch die Kommunen bitte mitdenken und mithelfen, indem sie etwa Steckdosen an den Straßenlaternen installieren.
Hier werden bewusst alle Barrieren abgebaut. Man kann seine Probefahrt online ausmachen und den Ami auch im Internet kaufen – er wird dann nach Hause geliefert, die bestellte Sonderausstattung kommt in einem Karton mit. Zudem sucht Citroën die Zusammenarbeit mit Kaufhäusern, um direkt in der City an die Kunden heranzukommen. Für fortschrittliche Citroën-Händler bietet der Ami aber auch viele Möglichkeiten neben dem normalen Verkauf. Er kann beispielsweise als extragünstiger Reparatur-Ersatzwagen oder für lokales Carsharing eingesetzt werden.
Wann startet der Ami in Österreich?
Steht noch nicht fest, aber es gibt einen Fahrplan. Zunächst führt Frankreich den Ami im Sommer ein, dann folgen Anfang 2021 Spanien, Italien, Belgien, Portugal und Deutschland. Wenn es bei den deutschen Nachbarn gut läuft, dürfte Österreich zeitnah folgen. Kommt letztlich auch auf die Nachfrage an.
Wie fällt das erste Test-Fazit zum neuen Ami aus?
Wie schon so oft in seiner Geschichte zeigt Citroën sein legendäres Gespür für günstige Mobilität. Mit dem Spirit von 2CV und Co. bauen die Franzosen ein winziges Elektrogefährt für die Großstadt des 21. Jahrhunderts und bieten es um 20 Euro pro Monat an. Diese radikale Reduktion auf das Wesentliche wird viele zunächst wundern, aber darin steckt ja die Genialität: so wenig Platz, so wenig Energie und so wenig Geld braucht es für kein anderes Fahrzeug, das sich mit einem Auto vergleichen lässt. Wenn es um den „Basic Instinct“ geht, macht Citroën keiner was vor.