TEST: ALPINE A110 PURE
Willkommen im Steuerparadies
Beide tragen das europäische Hochgebirge im Namen und ergänzen sich auch tatsächlich wunderbar: Die Alpine braucht Kurven, Österreich hat viele Kurven. Man kann sich das Auto im Flachland nur als Entzugskranken vorstellen, aber wenn das österreichische Angebot an schön geformten Straßenkrümmungen auf die Leichtfüßigkeit der Alpine trifft, ist das ein perfektes Rendezvous. Es befördert den Fahrer in ein Steuerparadies, das mit normalem Autofahren so wenig zu tun hat wie der heimische Abgabensatz mit dem von Monaco. Den Alpine-fahrenden Flachländlern bleibt immerhin der Urlaub, Vorfreude ist die schönste Freude.
Ist die Alpine ein Retroauto?
Das wird oft behauptet. Zwar führt uns die Alpine zurück zum Ursprung des Fahrspaßes, als dieser noch vom geringen Gewicht und nicht von exorbitanter Leistung ausging. Aber das Konzept ist keinesfalls retro: Einen Sportwagen zu bauen, der bei Verbrauch und CO2 mit Golf-Werten konkurrieren kann, aber beim Fahrspaß einem Porsche Sorgen bereiten kann (sollte), das ist geradezu futuristisch. Leichtbau wie dieser wird in Zukunft auch bei normalen Autos ein Thema werden (müssen).
Es gibt Leute, die fragen, warum Alpine das Auto nicht größer gemacht hat. Noch auffälliger, mächtiger. Aber das wäre Themenverfehlung gewesen. Im Vergleich mit der Alpine A110 von 1961 ist die Alpine A110 von 2019 im Maßstab der Zeit gewachsen: 3,85 Meter Länge, 1,60 Meter Breite und 1,12 Meter Höhe waren damals so zierlich wie es 4,18 Meter Länge, 1,80 Meter Breite und 1,25 Meter Höhe heute sind. Und so wie damals 750 Kilo großartig waren, sind es heute 1.100 Kilo.
Ganz abgesehen davon sind die Proportionen brillant und das Auto eine Augenweide. Was sich für Manchen sofort erschließt, für den Anderen subtiler wirkt. Aber subtil ist die Alpine ja auch beim Fahrspaß, der ganz ohne Brachialkraft allerhöchste Dimensionen erreicht.
Was ist in der getesteten Pure-Variante anders?
Es ist die bisher leichteste Version der Alpine. Mit 1.098 Kilo genau fünf Kilo leichter als die ausverkaufte „Premiere Edition“ und 25 Kilo leichter als die zusammen mit „Pure“ ebenfalls neu aufgelegte „Légende“. Wesentlicher Unterschied zwischen den beiden sind die Sitze und Felgen: „Pure” steht auf noch leichteren 17-Zöllern (statt 18-Zoll) und kommt zudem mit ultraleichten, aus einem Stück gefertigten Sabelt-Rennsitzen, die pro Stück nur 13,1 Kilo wiegen.
Er ist ziemlich edel ausgeführt, mit viel gestepptem Leder und Implantaten im Carbonlook. Er lässt sich dank Großserien-Multimediasystem pflegeleicht bedienen. Er hat die besten Sitze, die man haben kann: Sie haben Seitenhalt wie im Rennwagen, sind aber trotzdem bequem. Dass man Sitzhöhe und Lehnen-Neigung nur mit Schraubenschlüssel verstellen kann, ist dem Gewicht geschuldet, als Sportler bedanken wir uns für diese Kompromisslosigkeit, ohne sie wäre das federleichte Endergebnis nicht möglich gewesen.
Fahren wir los…
Das Erstaunlich ist: Man ist nach 100 Metern eins mit dem Auto. Wie man sitzt und das Lenkrad in der Hand hat, fühlt sich, ganz unmittelbar, hervorragend an. Dann gibt man Gas und merkt, dass 252 PS für 1.100 Kilo sehr sehr viel sind. Ein Porsche 718 wiegt gleich mal 300 Kilo (!!) mehr, dementsprechend hängt ihn die Alpine ab. Und Hunderter-Sprints in 4,5 Sekunden fühlen sich so brachial an, wie sie klingen. Ein Schaltgetriebe vermisst man dabei nie, das Doppelkupplungstriebe arbeitet superschnell, die Lenkradwippen liegen gut in der Hand.
Zudem ist der Sound für einen Vierzylinder-Wagen außergewöhnlich gut, wobei im Sportmodus dann noch mehr Lautstärke und „Bang, Bang“ dazukommt – grundsätzlich herrlich, aber bei unseren doch über einstündigen Sportetappen wird das dann schon etwas viel. Wir finden es trotzdem gut, dass man den Auspuff nicht manuell drosseln kann. Wäre einfach nicht richtig.
Kurz gesagt: Das Geheimnis ist die Mischung aus dem sensationell niedrigem Gewicht und der brillanten Abstimmung.
Erstes Erweckungserlebnis ist das Bremsen. Es ist phantastisch, ähnlich lustig wie das Beschleunigen. 1.100 Kilo bremsen viel später als 1.500 Kilo. Und viel schöner. Während man in schwereren Sportwagen beim Verzögern immer ganz schön zu tun hat, fühlt sich das Bremsen in der Alpine im wahrsten Sinne des Wortes leicht an. Obwohl man spät in die Eisen steigt, ist die Dosierung spielerisch leicht, vergleichbar mit einer gut beherrschbaren Fahrwerksabstimmung.
Dann kommt das Einlenken, ebenfalls ein Vergnügen für sich: Die Lenkung ist leichtgängig und zugleich super-genau. Ein Traum.
In der Kurve kommt die für einen Sportwagen eher softe Abstimmung der Aufhängungen zum Tragen, sie sind aber nicht zu soft, sondern so, dass man mit dem Auto spielen kann. Und dass Straßen der zweiten Qualitätsstufe das Auto nicht in Unruhe versetzen. Brillant.
Das Auto untersteuert ein ganz kleines bisschen, nur zur Sicherheit, aber fast unmerklich. Dann geht es mit ziemlich brachialer Kraft aus der Kurve heraus. Es gibt drei, über den roten Lenkradknopf einstellbare Modi, und im Kurvenausgang zeigt sich der größte Unterschied zwischen ihnen: Bei „Track“ ist im Gegensatz zu „Sport“ kein ESP mehr dabei, wodurch man sich etwas mehr bewegen und auf der Rennstreck sogar unanständige Dinge tun kann. Entgegen dem Namen passt „Track“ sogar auf der Straße, die hervorragende Traktion und Abstimmung der Alpine machen es problemlos möglich.
Gibt es keine Klagen?
Neben dem angesprochenen Sound, der auf langen Etappen Bergetappen etwas viel werden kann (den wir aber trotzdem nicht ändern würden!), könnte man, wenn man unbedingt will, unter Umständen, eines nennen: noch ein wenig mehr Leistung. Wobei die A110 keineswegs zu wenig Leistung hat, aber wenn man sich fahrerisch schon sehr mit ihr verbrüdert hat und zudem ein sehr sportlicher Fahrer ist, gibt es in manchen Kurven kurze Momente, wo es das berühmte Alzerl mehr sein dürfte. Für diese speziellen Fälle legt Alpine mit der neuen Topversion A110 S ab Oktober auch tatsächlich 40 PS drauf. Gut reagiert!
Was nicht ganz unwesentlich ist: Wie pflegleicht ist die Alpine im Alltag?
Auf der Autobahn ist man mit Sieben-Liter-Werten unterwegs, was für einen großartigen Sportwagen doch großartig ist. Nach diversen Sportstunden im Kurvenland stand zwischenzeitlich 9,5 Liter am Bordcomputer, am Ende waren es dann, auch mit etwas Stadtanteil, alles zusammen mittlere Acht-Liter-Werte.
Der Stadtverkehr funktioniert gut, denn das Auto ist weniger hart als andere Sportler, obwohl das Fahrwerk straff ist nervt es wirklich nie. Beim städtischen Parken ist man mit weniger als 4,20 Meter Länge gut dabei.
Durch die Lucke nach hinten sieht man zumindest, wenn sich hinten wer dranhängt, was am Berg eh relativ ausgeschlossen ist, aber auf der Autobahn natürlich gerne vorkommt.
Auch beim Reisen profitiert man vom in Relation zum Fahrspaß umgänglichen Fahrwerk, die Innengeräusche bleiben moderat, der zweiteilige Kofferraum ist mit etwas Kreativität nahezu urlaubstauglich. Mehr Gepäck wäre ja auch ein Respektlosigkeit gegenüber den Ingenieuren und ihren riesigen Anstrengungen im Leichtbau.
Alpine hat einen Sportwagen gebaut, der in moderaten Preisregionen eine Ansammlung von Superlativen bietet: Das Bremsen, Lenken, Beschleunigen ist brillant, teilweise unübertrefflich gut. Durch den Leichtbau erreicht der Franzose Fahrspaßdimensionen, von denen die direkte Konkurrenz nur träumen kann. Eine Lehrstunde im Sportwagenbau, im Übrigen auch für Porsche. Und nicht zuletzt auch ein futuristisches Projekt: Innovativer Leichtbau wie dieser wird in Zukunft auch bei normalen Autos immer mehr Thema werden (müssen).